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Heinzer


Ich saß da etwas gestrandet nach der de Sade Bibliographie und war, wie ich es damals nannte, der Perversion und der Grenzüberschreitung noch nicht ganz müde und googelte ganz schnöde nach einer an sich nicht-existenten Fortsetzung.


Ich hatte an de Sade immer viel zu kritisieren gehabt. Die Argumente waren oft lückenhaft und mehr Anstöße als Anschauung, aber hatte es insgesamt immer seinem Zweck gedient. Gerade die Räubergeschichte um Justine hatte einige spannende Aspekte an sich, aber wie so oft reichte es eine Idee in wenigen Sätzen darzustellen, welche über Kapitel gestreckt wurde.

"Die Philosophie im Boudoir" bleibt mir aber trotzdem ein inspirierendes und frivoles Stück Literatur, meiner Meinung nach sein bestes Werk.


Bukowski hat mir auch immer Spaß gemacht. Die Verquickung von schnödem Alltag und Innenschau war genau was ich vor 8 Jahren brauchte.

Jedoch störte mich recht schnell, was mich auch heute noch stört. Bukowski war ein harter Hund. Ich bin kein harter Hund. Bukowski stand in seiner Kindheit vermeintlich am Scheideweg, als er sich unter seinem Bett versteckte, während der ihn schlagen wollende Vater auf Suche war. Raus gehen und kämpfen bei völligem Bewusstsein, dass man verlieren würde, oder sich verstecken mit zweifelhaftem Erfolg? Bukowski kämpfte.

Er war eine gelähmte Kämpfernatur, die sich mit Strukturen nicht abfinden konnte. Nachvollziehbar, aber nicht ganz.

Faktotum finde ich am besten. Da die Bandbreite von Siegergeschichten recht rar ist, fühlt sie sich am ehrlichsten an. Zumindest für mich.


Zurück zum Anfang.

Ich googelte also etwas wie "perverse Literatur" oder "wie de Sade" und kam schnell auf "Der goldene Handschuh" von Heinz Strunk.


Das Buch war ein klassischer "hört man beim joggen, Weg zur Arbeit, alleine auf der Arbeit" und so weiter. Gefühlt zumindest. Via Audible hatte ich ein Guthaben schnell zur Stelle und kaufte das Werk.

Gelesen von Heinz Strunk musste ich mich erst mal an die grobe und unprofessionelle Stimme vom Autoren selbst gewöhnen. Anfangs schwierig, aber schnell unverzichtbar.


Das Buch ist gut, dreht sich um die Verbrechen des Serienmörders Fritz Honka, und, worüber kaum einer spricht, die graue Welt eines Superreichen im Nebenplot. Beides ist wundervoll charakternahe vorgetragen, einnehmend.


Danach las ich "Junge rettet Freund aus Teich" was mich fast vom Strunk-Train abgebracht hätte. Nicht weil es sonderlich schlecht ist, sondern solala.

In einem seiner vielen autobiographischen Werke begleitet man den Autoren durch sein Erwachsenwerden und durch nicht schlecht gemachte sprachliche Details im Hörbuch.

Das Großwerden eines Kindes durch alltägliche und schädliche Umstände.


"Fleckenteufel" ist ein lustiges Ferienlager-Buch welches einen in die vielen unangenehmen Vergangenheiten eintauchen lässt, welche männliche und unsichere Pubertierende nunmal so durchleben.


"Das Strunk-Prinzip" ist grauenhaft und "Jürgen" irrelevant.


Aaaaaaaber...


"Die Zunge Europas" insbesondere, aber auch "Heinz Strunk in Afrika" sind Werke die es so bisher nicht gab. Versprochen.


Jeder kann Krieg, den Verlust des eigenen Kindes, Mord und Totschlag in eine traurige Geschichte verwandeln.

Aber niemand schafft es den überdrüssigen, übersättigten und überreizten Mitteleuropäer und seine dummen, aber realen Sorgen so präzise zu betonen wie mein Lieblingsautor Heinz Strunk.


"Wenn überhaupt, eignete ich mich nur für ereignisarme Unternehmungen mit geringer Reizdichte. Picknick, Zoobesuche, wenn's hochkommt, Kino. Ich verstehe keinen Spaß und gönne auch anderen keinen."


Wo tausende Bukowski-Fans plötzlich mit einem seiner Zitate kollidieren, in denen er das Nüchtern-Sein und Pro-Leben-Apologetik verbreitet, wird man vom Heinzer nicht enttäuscht. Und man verstehe nicht falsch, Heinzer ist nicht Anti-Leben, aber nochmal, ich glaube nicht, dass jemand jemals besser das Verlorensein eines Einzelnen auf einer Feier dargestellt hat, auf der er nie sein wollte.

Als Bukowski die Menschen fragte, ob sie das Gefühl kennen, wenn man sich am Morgen runter zu seinen Schuhen (Socken) beugt und sich fragt "Was nun?", da nahm Heinz Strunk seine Feder in die Hand und belebte sie eben nicht im Heldenmut eines gestärkten Bizeps.

Er belebte die Zeile mit der Stärke eines Menschen, der sich traut zu sagen:


Ich will nicht.

Ich trau mich nicht.

Ich mag das nicht.


Und das nicht nur als Reflex, sondern als Idee. Ich will nicht mit dir reden, weil ich deine Art zu leben nicht mag. So simpel, so kompliziert.


“Sein ganzes Leben eine unausgesetzte Schwächung, immer entwich irgendwas, ohne dass mal was hinzugekommen wäre. Nie ist etwas in Schwingung geraten, dabei hätte man nur mal eine Saite anzupfen müssen, früher, und gleich hätte das ganze Orchester mit eingestimmt. Er ist erfüllt, von oben bis unten ausgegossen mit diesem brennenden Schmerz, sein Herz ein blutender, schwerer Klumpen, der langsam nach unten durchsackt. Er steht auf und schleicht nach draußen, um sich dem Strom derer anzuschließen, die unverdaut wieder ausgespuckt wurden und nun verglühen in den Feuern der Einsamkeit.


Wie lange erträgt man es, zu wissen, dass nichts mehr kommt?”


Das ist aus einer Szene aus "Die Zunge Europas", in der Strunk aus einer Szene in einer Bar eine allumfassende Innenschau aller Charaktere macht. Brilliant!

Keiner ist normal, keiner ist sicher. Alle haben Sorgen, Neid, Probleme, Gedankenrasen. Keiner ist besser als der andere.


“Alles Mögliche kann einem im Leben passieren, und vor allem nichts. Manchmal kommt es mir seltsam vor, dass ich jemals versucht habe, glücklich zu werden. Der Mensch hat eine Vorliebe für Tragik, eine Voreinstellung, die sich im Laufe der Evolution bewährt hat. Man scheut das Risiko stärker, als man das Glück sucht, denn Verluste tun mehr weh, als Gewinne Freude bereiten. Mit jedem Jahr, das verstreicht, wird die Lage aussichtsloser, und am Ende kann man gar nicht fassen, dass DAS alles gewesen sein soll.”


Man darf sich nicht täuschen lassen.

Heinzer hat teils grausige Interviews gegeben und viele noch schlimmere Fernsehauftritte geliefert. Außerdem hat er in Satire-Zeitschriften entsprechend fehlleitende Ideen an den Mann gebracht.

Er bleibt eben ein Vertreter einer Art Realismus mit einem existenzialistischen Touch. Heinzer geht nah, wenn er am besten ist.


“Leute von heute wollen eben keine graugesichtigen Paragraphenreiter, Genrumpelstilzchen, Ablecker, Kartoffelviecher oder sonstige Kackimenschen sein! Schaut her, ich bin ich, witzig, einzigartig, ein Unikat, krakeelen die Apologeten des Individualismus ungefragt in die Runde, und so strampeln Myriaden talentfreier Klone im mikromaschigen Spinnennetz eines gesichtslosen Millionenheeres, treiben im Sog des kranken Zeitgeistes als schlecht verklebtes Papierschiffchen in den nassen Tod.

Legibus solutos – von den Gesetzen entbunden!”


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