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Eine Welt der Schwäche




Haighas Nacken zog und entspannte sich am laufenden Band. Der gestrige Abend war lang gewesen, mit viel Wein, und der Schlaf entsprechend recht kurz. Aber er war zuverlässig. Der Wecker war zwar gruselig und das Aufrichten aus dem Bett musste er mit einem "Wow!" kommentieren, aber irgendwie funktionierte es.

Nichts fühlte sich gut an. Der Morgenkaffee stürzte auf einen übersäuerten Magen und das Duschwasser wollte die richtige Temperatur einfach nicht finden.

Nicht mal das Autofahren über die leeren Straßen fühlte sich richtig an.

Damals hätte man vielleicht Angst vor Ordnungshütern oder ähnlichem gehabt, aber Haigha hatte seit Monaten keine Polizei mehr gesehen. Schon das Wort kam ihm komisch vor.


That sugarcane that tasted good

That's cinnamon, that's Hollywood

Come on, come on

No one can see you try


Das Radio macht so sein Ding. Gott sei Dank gibt es keine Unterbrechungen durch Nachrichten mehr. Irgendwie hatte das doch immer Unbehagen verursacht. Wem nützt das schon?

Haigha erinnerte sich an die letzten Nachrichten die er jemals gehört hatte. War gar nicht so lange her und de facto waren es nicht wirklich Nachrichten gewesen. Aber der Nachrichtensprecher, der mit der markanten Stimme, hatte um Punkt 7:00 morgens seine Sendung angefangen und gleich begonnen zu weinen. Er sprach dann lange über sich, seine Unsicherheiten und seine Frau. Vieles war nicht zu verstehen, weil er schluchzte und stotterte. Ob er wohl tot ist? Nachrichten macht er auf jeden Fall nicht mehr.


"Wo hat das stattgefunden?"


"Irgendwo oberhalb von Ventura. Ich kann mich wirklich nicht mehr erinnern. Ich sag ihnen die Wahrheit. Ich trinke. Und das macht meine Erinnerungen unzuverlässig."


Haigha saß an seinem schäbigen Schreibtisch und wartete auf den Bewerber.

Der Termin war in 15 Minuten, wodurch ihm sicherlich noch 2 Stunden blieben um dem Kater entweder durch mehr Alkohol, welchen er in der Glasvitrine seines Büros lagerte, oder durch seine Ausschalt-Tabletten die in der Schublade seines Schreibtischs lagen, zu entrinnen.

Eigentlich war heute kein schlechter Tag um es zu beenden. Aber leider war Haighas Willen zum ewigen Nichts immer während des Rauschs am stärksten und nicht während des Danachs.


Es klopfte, Haigha fuhr zusammen. Was sollte das denn? Er schaute voller Furcht auf die Uhr. Pünktlichkeit? Haigha spürte dass sein Mund offen stand.


"Einen Moment, bitte!"


In der zweiten Schreibtischschublade lag ein Flachmann. Es würde einer dieser Tage werden an denen die Nüchternheit erst gar keine Chance bekäme. Haigha hatte das Gefühl, dass der erste Schluck sich direkt in den Solar Plexus drängte und von dort aus tatsächlich Sonnenstrahlen in den Körper schickte.


"Ehm, herein. Wenn es sein muss."


Das Petermännchen schaute durch die halb geöffnete Tür lächelnd ums Eck. Haighas Gesicht war starr und er hatte sogar das Gefühl dass seine Augen unfokussiert in verschiedene Richtungen schauten.


P: Herr Hase, nehme ich an?

H: So ist es, leider. Du bist also der Bewerber? Dann lass uns das schnell hinter uns bringen, in Ordnung?

P: Haha, naja. Wir wollen das sicherlich schon korrekt machen. Darf ich mich setzen?

H: Da ist ein Stuhl. Dafür sind die da.

P: Hier ist meine Mappe. Daheim fällt mir dann doch langsam alles auf den Kopf. Ich hoffe, dass ich den Ansprüchen genüge. Wie sie sehen werden bin ich praktisch von Haus aus überqualifiziert.


Haigha klappte die Mappe auf, wobei hinter der ersten Seite dem Hasen ein Qualitätsfoto des Petermännchens entgegenstarrte. Er lächelte, seine Krawatte saß gut und die Brille gab ihm einen gebildeten Ausdruck.


H: Na, dann schauen wir mal.

P: Die blanken Zahlen sollten sie überzeugen.


Haigha ging es wirklich nicht gut. Die Anstrengung die Buchstaben vor seinen Augen nicht verschwimmen zu lassen war Aufgabe genug und ließ den Inhalt komplett kryptisch bleiben.


H: Puh, also. Du bist also zur Schule gegangen? Denke, das passt so. Mehrere Sprachen werden wohl auch nicht schaden, glaube ich. Was soll ich sagen? Sollte klar gehen. Keine Ahnung. Willst du das wirklich?

P: Aber natürlich, sonst wäre ich nicht hier.


Hide on the promenade

Etch a postcard:

"How I Dearly Wish I Was Not Here"

In the seaside town

That they forgot to bomb

Come, Come, Come - nuclear bomb!


Haigha guckte mit einer gewissen Irritation auf die Spalte "Hobbys" in der Bewerbung.

Die Einzelheiten konnte er nicht ausmachen, aber es waren mindestens drei Stück.

Er dachte kurz dran den internen Notruf zu wählen. Das konnte doch nicht gut sein. Ein Gefühl durchfuhr ihn, ein schlechtes. Er wollte weg oder zumindest den Bewerber weg schicken. Was sollte das? Das grenzte doch an Provokation, oder?


I can see you laughing Through dreams of perfect sleep Sleep away from me You know what's in my mind When you go I'm crying Dream dream away from me


H: Naja, das hier sind also die Produktionsanlagen. Du bist die Vertretung für die Haselmaus. Ehm, die ist schon seit 2 Wochen nicht mehr zur Arbeit erschienen.

Davor kam sie immer unpünktlich und lehnte eigentlich während ihrer Anwesenheit nur an der Maschine und weinte bitterlich. Keine Ahnung, hatte mal nachgefragt, aber sie schlug nur wütend um sich. Habe es dann sein gelassen. Habe sie immer gemocht, aber gut.

P: Ich werde die Arbeit garantiert besser als sie erledigen.

H: Besser?


Leaving home

and god is on your side

dividing sparrows from the nightingales


In seinem Büro genehmigte Haigha sich nochmal einen Schluck. Meine Fresse, es musste irgendwie weiter gehen. Seine Hände zitterten. 3 Hobbys, verfickte Scheiße...


 
 
 

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